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Die Wirtschafts- und Währungsunion als Rechtsgemeinsschaft in der Eurokrise? Die Menschenswürde in der Eurokrise als leerer Begriff?

 

Prof. Dr. Theodora Antoniou
Athen

(Zur Veröffentlichung in der Festschrift Rosemarie Will)

 

 

1. Der Begriff der Rechtsgemeinschaft

Rechtsgemeinschaft ist keine Rechtsnorm des Europarechts, sondern eine Kennzeichnung für supranationale Modelle wie die europäische Gemeinschaft. Es handelt sich um einen zusammenfassenden Oberbegriff über Normen des Europarechts, indem man einerseits die konkrete europäische Rechtsgemeinschaft forciert und andererseits weitere Einschränkungen von der inhaltlichen Seite hermacht. In diesem weitern Sinne wird die Währungs- und Wirtschaftsunion im Folgenden geprüft.

Die Europäische Union ist eine Schöpfung des Rechts. Sie ist durch Recht, durch völkerrechtliche Verträge entstanden und ihre Struktur wird durch Recht bestimmt. Sie will ihre Ziele im Wesentlichen dadurch erreichen, dass sie Rechtsnormen setzt, die von den Normadressaten befolgt werden. Sie will in den Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander Gewalt und politischen Druck durch die Herrschaft des Rechts ersetzen. Es muss sich nur um normative Regeln handeln, um Regeln, die dem Bürger, einem Staat oder einer internationalen Organisation ein verbindliches Handeln aufgeben. Der Blick auf das Staatsrecht macht deutlich, dass die Rechtsgemeinschaft ein mehrdimensionaler Begriff ist. Es handelt sich um Rechtsregeln, die den Anforderungen demokratischer Legitimation stand halten, dem Maßstab der Grundrechte genügen und von Gerichten geschützt werden. Sowohl Bürger als auch Staaten erhalten nur innerhalb eines normativen Rahmens die notwendige Sicherheit, die es ihnen ermöglicht, sich auf einen Austausch mit den anderen einzulassen. Das Recht setzt der Politik Grenzen und hegt den legitimen politischen Willen ein.

Der Begriff der Rechtsgemeinschaft wird speziell auf die Wirtschafts- und Währungsunion in der Phase der jetzigen Krise angewandt.

2. Eine Chronik der Krise

In der Währungsunion sind Staaten mit ganz unterschiedlicher Wirtschafskraft und Staatsverschuldung vereint. Während früher diese Unterschiede durch Veränderung der Wechselkurse ausgeglichen werden konnten, zwingt die gemeinsame Währung die Staaten der Eurogruppe zu einer Angleichung ihrer Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wurden in den Jahren von 2002-2004 von Deutschland und Frankreich abgeschwächt. Da die Währungsunion nicht durch eine Wirtschafts- und Fiskalunion ergänzt und auf eine Regulierung der Banken verzichtet wurde, ist die Stabilität des Euros unterhöhlt worden.

Ιn der jüngsten Eurokrise beschließt der Europäische Rat Rettungspakete und Umschuldungen mit der Absicht zu einer Harmonisierung der staatlichen Haushalte in allen wettbewerbsrelevanten Bereichen der Wirtschafts-, Fiskal-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik.

  • 2010 erhielt Griechenland zunächsrt bilaterale Kredite der Euro-Gruppe, die im Zusammenhang mit einem entsprechenden Programm des IWF koordiniert wurden.

  • Dann folgte der „Europäische Rettungsschirm“ im engeren Sinne. Er besteht aus zwei Teilen: zum einen aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der sich auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV auf die VO (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11.5.2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus stützt und ein Volumen von 60 Mrd Euro aufweist. Zur Ergänzung wurde zum anderen am 7.6.2010 die Europäische Finanzstabilisierungsstabilität (EFSF) errichtet. Sie beruht auf einer intergouvernementalen Vereinbarung der Regierungen der Euro-Gruppe vom 9-5-2010. Ihr Handlungsinsrument ist eine Zweckgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts, die als Kreditgeberin auftritt, sich am Kapitalmarkt refinanziert und dafür von den Euro-Staaten Kreditausfallgarantien in Höhe von 780 Mrd. Euro erhalten hat.

  • Um einen dauerhaften und unionsrechtskonformen „Rettungsschirm“ installieren zu können, wurde Art. 136 AEUV auf dem Weg des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 Abs. 6 EUV um einen neuen Abs. 3 ergänzt. Er diente als Rechtsgrundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), einer internationalen Finanzinstitution, die am 2.2.2012 errichtet wurde.

  • Die EU-spezifische Reaktion auf die europäische Schuldenkrise ist ein Maßnahmebündel von fünf unionalen Verordnungen und einer Richtlinie (daher engl. „Six Pack“), die teils am 8.11.2011, teils am 16.11.2011 erlassen wurden. Auf diesem Wege wurden die 2005 abgeschwächten Verordnungen des SWP (Stabilitätswährungspaktes) wieder verschärft.

  • In einer der „Six-Pack-Verordnungen“ sind die Grundlagen für das “Europäische Semester” geregelt worden. Zu verstehen ist darunter ein alljährlicher Planungs- und Berichtszyklus von sechs Monaten, in dem die Haushalts- und Strukturpolitiken der Mitgliedstaaten überprüft werden.

  • Am 24/25.3.2011 wurde vom Europäischen Rat auch der sog. Euro-Plus-Pakt für den Euro – abschließend beraten. Wegen der fehlenden Zustimmung Großbritanniens, Schwedens, Ungarns und der Tschechischen Republik konnte dieser Pakt nicht auf Art. 121 Abs. 2 AEUV gestützt werden. Im Übrigen machten die unterzeichnenden EU-Mitgliedstaaten klar, dass der Pakt zwischen ihnen nicht als völkerrechtlicher Vertrag gelten soll. Damit stellt er eine Art „soft law“ dar, der den ESM und das „Six Pack“ einschließlich des Europäischen Semesters mit Absichtserklärungen stärken soll.

  • Eine weitere Reaktion auf die Europäische Staatsschuldenkrise stellt der sog. Fiskalpakt dar. Wie der ESM Vertrag ist auch der „Fiskalpakt“ ein eigenständiger völkerrechtlicher Vertrag, der paraunional neben den Rechtsrahmen der EU tritt. Diese Konstruktion versteht sich als Notlösung, nachdem das britische Veto eine Inkorporation der Vorschriften des Fiskalpakts in den primärrechtlichen Rechtsrahmen der EU verhinderte. Der „Fiskalpakt“ zielt darauf ab, die Vertragsparteien zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik anzuhalten, indem er sie dazu verpflichtet, in ihrem nationalen Recht eine „Schuldenbremse“ zu verankern, die ein strukturelles Defizit von höchstens 0,5% des BIP zulässt. Damit werden auf völkervertragsrechtlicher Ebene unionsrechtliche Vorgaben verschärft, und zwar Art. 126 Abs. 2 AEUV i.V. m. dem Defizitprotokoll Nr. 12, der Haushaltsdefizite von höchstens 3% des BIP erlaubt, und Art. 2a Abs 2 des „Six Pack“ VO 1175/2011, der als mittelfristiges Haushaltsziel ein konjunkturbereinigtes Haushaltsdefizit von höchstens 1% des BIP zulässt. Art. 3 Abs. 2 des Fiskalpaktes verpflichtet die Vertragsstaaten, die Defizitshöchstgrenze von 0,5% in nationalers Recht –vorzugsweise mit Verfassungsrang- umzusetzen. Viele Verpflichtungen des Fiskalpakts sind bereits im Unionsrecht enthalten. So wird damit eine qualitativ neue „Fiskalunion“ zwischen den Vertragspartnern nicht errichtet.

3. Eine neue Europäische Wirtschaftsregierung?

Es wird behauptet, dass der Wert der politischen und wirtschaftlichen Einheit Europas unter den Bedingungen der Globalisierung deutlicher werden muss1.

Anstatt die Kompetenzen zu stärken, um eine echte Wirtschaftsregierung zu führen, hat man eine Konstruktion abseits der EU unternommen. Dadurch wurden im Zuge der Notstandspolitik Mitgliedstaaten „unter Zwangsverwaltung“ gestellt. Zwar handelt es sich formell um einen“Deal“ mit den in eine Vormundschaft eintretenden Staaten. Tatsächlich liegt die Macht nicht mehr in eigenen Händen-allerdings auch nicht in denen einer demokratisch verfassten europäischen Wirtschaftsregierung. Das Steuerungssystem der Union hat sich sehr eigentümlich entwickelt. “Post-demokratischer Exekutivföderalismus” sagt Jürgen Habermas und meint dieses intergouvrnementales Regieren. Das bedeutet Schwächung der parlamentarischen Mitbestimmung. Ferner geben die starken in einer Staatenverbindung desto mehr den Ton an, je weniger die Macht durch eine effektive und effiziente Rechtsordnung gebändigt ist. Griechenland wird zum „Kaputtsparen“ geführt und es darf zu dieser Politik nicht nur nichts beibringen, sondern auch nichts sagen.

Der Begriff Wirtschaftsregierung geht auf die französische Forderung der stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik bereits bei der Einrichtung der Wirtschafts- und Währungsunion zurück. Zurückhaltender wird seit der Ratssitzung am 25.3.2011 der Begriff “wirtschaftspolitische Steuerung” verwendet. Hier soll nicht die Deutung der Politik übernommen werden, sondern ein eigenes Begriffsverständnis entwickelt werden. In der englischen und französischen Sprachfassung sind sich die beiden verwendeten Begriffe deutlich ähnlicher (Economic Governance/Gouvernance Economique gegenüber Economic Government/Gouvernment Economique). Typisches Merkmal von Government ist der Prozess hierarchischer Entscheidungs- und Durchsetzungsmechanismen. Das bisherige Verfahren nach Art. 121 AEUV zur Aufstellung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik durch Verhandlungen der Mitgliedstaaten wies diese Merkmale nicht auf und war demnach deutlich Governance-geprägt.

Von europäischer Wirtschaftsregierung kann man unter den folgenden Voraussetzungen sprechen:

1. die wesentlichen Bereiche nationaler Wirtschaftspolitik müssen der europäischen Regulierung unterliegen,

2. die Maßnahmen der europäischen Ebene in diesen Bereichen müssen durchsetzbar sein,

3. es muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Maßnahmen auch tatsächlich durchgesetzt werden.

Die Six-Pack gestaltet die Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik umfassend neu. Hierzu erließ der Gesetzgeber 5 Verordnungen und eine Richtlinie, deren wesentliche Inhalte die Wirtschaftsregierung etablieren. Von entscheidender Bedeutung sind die Erstreckung der Koordinierung in der allgemeinen Wirtschaftspolitik (Art. 121 AEUV) auf makroökonomische Ungleichgewichte sowie die Möglichkeit von Sanktionen und deren erleichterte Durchsetzbarkeit.

Eine weitere Neuerung, die die wirtschaftspolitische Koordinierung ausweitet, enthält die Verordnung 1175/2011, die das Europäische Semester rechtsverbindlich einführt. Die bedeutendsten Neuerungen stellen die Verordnungen 1173 und 1174/2011 dar. Sie ermöglichen es, die Nichteinhaltung in allen drei Säulen der wirtschaftlichen Koordinierung (präventive und korrektive im Rahmen des SWP sowie die makroökonomischen Ungleichgewichte) zu sanktionieren. Nicht nur werden damit Vorgaben im gesamten Bereich der Wirtschaftsunion durch europäische Institutionen durchsetzbar, sondern die Saktionierung wird auch erheblich erleichtert, indem sie weitestgehend nur noch mit sog. umgekehrter qualifizierter Mehrheit beschlossen werden muss. Danach gelten Beschlüsse der Kommission grundsätzlich als angenommen, wenn der Rat nicht innerhalb einer gewissen Zeitspanne mit qualifizierzer Mehrheit widerspricht. Ohne die aktive Mitwirkung anderer Institutionen kann die Kommision somit alle wesentlichen Bereiche nationaler Wirtschaftspolitik regulieren. Dies stellt eine grundlegende Wende von der bisherigen Governance-Prägung in der allgemeinen Wirtschaftspolitik hin zur europäischen Wirtschaftsregierung dar.

Ferner erlaubt Art. 136 Abs. 1 lit.a AEUV eine Verstärkung der Koordinierung und Überwachung. Allerdings schließt er dabei ausdrücklich das Verfahren des Art. 126 Abs. 14 AEUV aus. Daraus wird gefolgert, dass die Institutionen für die EuroZone nicht gesetzgeberisch tätig werden dürfen,

Die getroffenen Maßnahmen beinhalten sowohl supranationale als auch intergouvernemantale Instrumente. Die supranationalen Instrumente sind auch auf die Kompetenzen der Union zur Festlegung der Einzelheiten für die Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten (Art. 121 und Art. 126 AEUV, teilweise im V. mit Art. 136 AEUV) gestützt und gehen in einzelnen Punkten bis an die Grenzen des unionrechtlich Möglichen. Die intergouvernementalen Instrumente beruhen auf völkerrechtlich akkordierten Regelungen der Mitgliedstaaten, insbesondere der Euro-Staaten, mit denen diese von ihrer wirtschaftspolitischen Zuständigkeit gemeinsam Gebrauch machen. In Ausübung dieser ihrer Zuständigkeit müssen die Mitgliedstaaten jedoch die Vorgaben aus dem primären und sekundären Unionsrecht beachten. Die finanzielle Untestützung des ESM für einzelne Euro-Staaten mit der non-bail-out Klausel des Art. 125 AEUV wurde vom Gerichtshof in seiner Entscheidung Pringle als europarechtskonform erklärt.

Die in nicht geringem Umfang eingesetzten intergournementalen Instrumente haben eine wesentliche Stärkung der Rolle des Europäischen Rates bzw. des Euro-Gipfels zur Folge, ohne dass der damit verbundete Machtzuwachs der Exekutive durch eine ausreichende parlamentarische Mitwirkung legitimiert wird. Mehrere der gesetzten Maßnahmen im Euro-Raum haben ein Sonderrecht geschaffen.

Schließlich hat der Gerichtshof in seiner Entsscheidung vom 16.6.2015 (RS 62-14 beim Vorlagebeschluß des BVerfG) Art. 119 AEUV, Art. 123 Abs. 1 AEUV und Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV sowie die Art. 17 bis 24 des Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank dahin ausgelegt, dass sie das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) dazu ermächtigen, das Programm für den Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten mit dem Ziel einzuführen, Störungen des geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu beheben, die durch die besondere Situation der Staatsanleihen bestimmter Mitgliedstaaten hervorgerufen werden. Unter diesen Umständen kann die alleinige Tatsache, dass sich das fragliche Programm spezifisch auf diese Staatsanleihen beschränkt, nicht als solche bedeuten, dass die vom ESZB verwendeten Instrumente nicht zur Währungspolitik gehören.   Der Gerichtshof machte jedoch klar, dass das ESZB dadurch, dass es in voller Unabhängigkeit die Durchführung des obigen Programms von der vollständigen Einhaltung makroökonomischer Anpassungsprogramme der EFSF oder des ESM abhängig macht, gewährleistet, dass seine Währungspolitik den Mitgliedstaaten, deren Staatsanleihen es ankauft, keine Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet, die es ihnen erlaubten, von den Anpassungsprogrammen, denen sie zugestimmt haben, abzuweichen. Das ESZB vermeidet auf diese Weise, dass die von ihm beschlossenen währungspolitischen Maßnahmen der Wirksamkeit der von den Mitgliedstaaten verfolgten Wirtschaftspolitik zuwiderlaufen. Durch den Erlass und die Durchführung eines solchen Programms wird den Mitgliedstaaten daher weder ermöglicht, eine Haushaltspolitik zu verfolgen, die die Tatsache unberücksichtigt ließe, dass sie im Fall eines Defizits nach einer Finanzierung auf dem Markt zu suchen haben werden, noch können sie sich dadurch vor den Konsequenzen schützen, die die Entwicklung ihrer makroökonomischen Lage oder ihrer Haushaltslage unter diesem Aspekt mit sich bringen kann.

Insgesamt beinhalten die bislang gesetzten Maßnahmen erste Elemente einer “Europäischen Wirtschaftsregierung”.

4. Rechtsgemeinschaft oder Ausübung willensbeugenden Gewalt?

Das Völkerrecht wurde als Hauptinstrument von der Euro-Gruppe und der Euro-Union gewählt. Der Internationale Währungsfonds steht für diesen Zusammenhang. Der Fonds ist eine internationale Organisation, mit nahezu universeller Mitgliedschaft, der rein stabiles System für den An- und Verkauf von Währungen garantieren will. Der allgemein anerkannte Idealzustand ist der reibungslose und unverzügliche Zahlungsverkehr zwischen Staaten in ausländischen Währungen. Der Fonds hilft in der Regel nur unter der Bedingung, dass der klamme Staat seine Wirtschaft reformiert und die strukturellen Schwierigkeiten beseitigt, die die Zahlungsprobleme verursacht haben. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Konditionalität. Der Begriff der Konditionalität transportiert den Sinngehalt sehr anschaunlich. Das Völkerrecht beschränkt sich auf ein solides Wenn-dann-Schema: Führt der betroffene Staat bestimmte Binnenreformen durch, erhält er den notwendigen Geldbetrag als Kredit. Die Entscheidung über das “Ob” und das “Wie” der Reformen liegt bei dem politischen Gemeinwesen, das sich in Zahlungsschwierigkeiten befindet. Sicherlich besteht in einigen Fällen –wie in Griechenland- ein erheblicher wirtschaftlicher und politischer Druck, die Konditionalität zu akzeptieren. Manche Beobachter sprechen von einer willensbeugenden Gewalt. Die überstaatliche Rechtsgemeinschaft verzichtet auf einen normativen Gestaltungswillen, wohl-wissend, dass dafür der entsprechende Gestaltungskonsens und –man sagt- die notwendigen Durchsetzungskräfte fehlen. Das letzte stimmt nicht, wie wir schon oben versucht haben, zu zeigen.

Da die Staatsbürger dadurch vor neuen Problemen der Verteilungsgerechtigkeit stehen und eine Umverteilung der Lasten über nationale Grenzen hinweg hinnehmen müssen, wollen sie in ihrer Rolle als Unionsbürger, demokratisch auf das, was ihre Regierungschefs in einer rechtlichen Grauzone aushandeln oder vereinbaren, Einfluss nehmen. Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung bedeutet, dass sich die zentrale Förderung der Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedstaaten auf die nationalen Haushalte erstrecken würde. Mit anderen Worten ein europäisches Finanzministerium beschränkte die Mitgliedstaaten in ihren Souveränitätsrechten. Es wird vor allem von Deutschland, Finnland, Österreich und den Niederlanden, den Vertretern der sogenannten neo-liberalen Strategien, behauptet, dass Eurobonds den Druck der Konsolidierung der Haushalte nähmen, während die Selbstregulierung des Marktes die Lösung der Krise ist. Man kann jedoch nicht ausschliessen, dass die Bonds an eine strikte Austeritätspolitik gekoppelt werden können2. Solidarität und Disziplin sind die zwei Seiten derselben Medallie3.

Eine der Hauptursachen der europäischen Staatsschuldenkrise liegt in der asymmetrischen Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Die Währungs- und Geldpolitik fällt nach Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU, während bei der Wirtschaftspolitik besitzt die EU gemäß Art. 2 Abs. 3, Art. 5 AEUV eine Koordinierungsfunktion. Die Haushaltspolitik betrifft die Einnahmen- und Ausgabenpolitik des Staates und dient dem Zweck der Deckung des staatlichen Finanzbedarfs. So stehen Wirtschafts- und Haushaltspolitik nicht unverbunden nebeneinander4.

5. Beispiele aus der nationalen Rechtsprechung (Deutschland-Griechenland)

In einer Reihe von Entscheidungen hat das deutsche Bundsverfassungsgericht allgemeine Prinzipien in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten gestaltet und in concreto:

  • Nicht die Souveränität ist übertragen worden, sondern eine Reihe von Hoheitsrechten

  • Die Souveränität der Mitgliedstaaten wird durch das Prinzip der begrenzten Einzelermäctigung gesichert

  • Die Kompetenz-Kompetenz liegt bei den Mitgliedstaaten. Sie entscheiden, welche Befugisse sieder Gemeinschaft übertragen. Sie sind die „Herren der Verträge“.

  • Es entnimmt die unmittelbare Geltung und den Vorrang des Gemeinschaftsrechts aus dem deutschen Rechtsanwendungsbefehls.

  • Eine Übertragung von Hoheitsrechten, durch welche die Identität des Grundgesetzes angetastet würde, dürfen die deutschen Staatsorgane nicht zustimmen.

  • Grenzen ergeben sich auch aus dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes

  • Das Integrationsprogramm in den Verträgen muss hinreichen bestimmt und für das ratifizierende Parlament voraussehbar festgelegt sein- Generalermächtigungen erlaubt das GG nicht.

  • Interpretationen, die einer Vertragsänderung gleichkämen, sehen den Gemeinschaftsorganen nicht zu

In seinen Urteilen vom 7.9.2011, vom 28.2.2012 und vom 19.9.2012 hat das BVerfG ausgeführt, dass der Bundestag die Instanz bleiben müsse, die eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheidet, auch im Hinblick auf internationale und europäisch Verbindlichkeiten. Ferner folge aus der demokratischen Verankerung der Haushaltshoheit, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus überhaupt nicht zustimmen dürfe, soweit dieser –einmal in Gang gesetzt- der parlamentarischen Kontrolle und Einwirkung entzogen ist. Würde der Bundestag in erheblichem Umfang zu Gewährleistungsübernahmen pauschal ermächtigen, könnten fiskalische Dispositionen anderer Mitgliedstaaten zu irreversiblen, unter Umständen massiven Einschränkungen der nationalen politischen Gestaltungsräume führen. Daraus ist gefolgert worden, dass „Eurobond“ und ähnliche Mittel zur Vergemeinschaftung der Schulden der Mitgliedstaaten der EuroZone mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Eine Vereinbarkeit kann auch durch Verfassungsänderung nicht erreicht werden. Denn nach dem sog. Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG darf die demokratische Staatsform der Bundesrepublik nicht angetastet werden. Sollte die Integration Europas weiter vorangetrieben werden mit der Folge, dass zu einer Fiskalunion käme, in der die Haushaltshoheit von den nationalen Parlamenten weg hin zu supranationalen Organen übertragen würde, wäre dies nur aufgrund einer Legitimation durch eine Volsksabstimmung unter den Voraussetzungen des Art. 146 GG zulässig. Dann aber verlöre das GG –wie es in dieser Vorschrift heißt- seine Gültigkeit, es muss durch eine neue Verfassung ersetzt werden.

Entscheidung 668/2012 des Plenums des griechischen Staatsrates5

Die obige Entscheidung hat die Verfassungsmässigkeit des Gesetzes 3845/2010 geprüft, an das das 1. „Memorandum of Understanding“ angeschlossen wurde. Mit den Gesetzen3833und3845/2010wurden verschiedene Maßnahmen getroffen, darunter auch die Reduzierung der Gehälterder Beamten und Arbeitnehmer imbreiterenöffentlichen , sowie auch der Renten.

Diese Maßnahmen waren zur Bekämpfung dervom Gesetzgeber festgestelltenakutenFinanzkrise, dienach ihm, denKreditbedarfdes Landesdurchdie internationalen Märkte unmöglich gemacht hat undwahrscheinlicheine möglicheInsolvenz des Landes abweisen,undzur Konsolidierung der öffentlichenFinanzen durch die Reduzierung des Haushaltsdefizits beitragen.

Insbesondere wurde die Treffung von Maßnahmen durch das Gesetz 3845/2010, unter denen die weitere Senkung von Gehältern und Renten war, die aus der Sicht des Gesetzgebers das gesamtstaatliche Defizit um etwa 2,5 Prozentpunkte des BIP als Folge haben wird, für notwendig gehalten, weil die mit dem vorherigen Gesetz 3833/2010 getroffenen Maßnahmen als unzureichend für die Behebung der kritischen wirtschaftlichen Situation in Griechenland erwiesen wurden. Dies hatte als Konsequenz den Rückgriff Griechenlands auf den Rettungsmechanismus, den die anderen Mitgliedstaaten der Eurozone für Griechenland gebildet haben.

Darüber hinaus wurde ein Verstoß gegenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeitabgelehnt.Insbesondere wird nicht gerechtfertigt vorgetragen, dass der Gesetzgeberkeine milderen Alternativen hatte, nämlich andere Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung geprüft hat, bevor er die obigen spezifischen Maßnahmen getroffen hat. Dies liegt daran, dass die Bekämpfung derschlechten wirtschaftlichenLage des LandesunddieKonsolidierung der öffentlichen Finanzen nicht nur auf die Reduzierung derLohnkostenderBeschäftigten im öffentlichen Dienst und imbreiterenöffentlichen Sektor undder Kosten für dieSozialversicherungsträgerberuhen,sondern auch auf andereMaßnahmenfinanzieller, steuerlicherund struktureller Art.Der Gesetzgeber schätzt, dass dieumfassende und koordinierteUmsetzung allerMaßnahmendasLand dazu helfen wird, aus der Krise zu kommen und seine Finanzzahlen auf eine solche Weise zu verbessern, dass die verbesserten Zahlenauch in Zukunftbeibehalten werden, d.h. nach Ablaufder dreiJahre, die imMemorandumvorgesehen werden.

Auf der anderen Seite, sei die Behauptung, dass die Nichtzuschreibung den obigen Maßnahen eines vorübergehenden Charakters gegen den Grundsatzdes Verhältnismäßigkeitsprinzips verstoße, abzulehnen. Dies liegt daran, dass die fraglichen Maßnahmen, die zur Beseitigung oder Verringerung von bestimmten Ablaufleistungen oder Renten, nicht jedoch zu ihrer Entbehrung, führen, das Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Allgemeinen Interesses und der Eigentumsrechte der Arbeitnehmer und Rentner gewährleisten. Alles das geschieht unter der Voraussetzung, dass die spezifische Höhe der kommenden Reduzierung der Gehälter und die Renteneinschnitte, sowie auch die Zahlung von Urlaubsgeld und der Urlaub im Verhältnis zum bisher geltenden Recht mitberberücksichtigt werden. Eine Ausschleißung wird für die schutzbedürftigen Gruppen aus den obigen Maßnahmen vorgesehen,wie beispielsweisediejenigen,die physisch und psychisch belastendeBerufe ausüben, die zum Bauwesen gehören, die eine Rentewegen Invalidität bekommen und schließlich die sogenannten indirekten Rentner, allerdings, unter bestimmten Bedingungen.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen sind die angefochtenen Bestimmungen nicht gegen Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls, oder den im Artikel 25 Par. 1 GV garantierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ferner wird Art. 17 GV (Eigentumsgarantie im Sinne von Immobilien) nicht verletzt, unabhängig der Tatsache, ob dieser Artikel den Begriff des Eigentums gleich wie Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls den Begriff Vermögen interpretiert. Verletzt wird auch nicht das Vertrauensschutzprinzip, so lange es weder von der Verfassung noch von anderen Bestimmungen ein Recht auf eine bestimmte Höhe von Gehältern begründet oder eine Unterscheidung unter ihnen je nach den entsprechenden Umständen nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird.

Der Gesetzgeber hat in Bezug auf die Reduzierung der Lohnkosten und der Renten der Verwaltung keinen Spielraum gelassen, damit sie beim Entscheiden vom jeden Fall prüfen darf, ob ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des allgemeinen Interesses und der Notwendigkeit des Schutzes des Eigentumsrechts der Betroffenen besteht, d.h., dass die Verwaltung, unter der Kontrolle der Gerichte, sich entscheiden darf, die vom Gesetzgeber eingeführte Minderung der Gehälter und Renten in jedem Einzelfall anzuwenden oder nicht. Diese Bestimmung hat der Staatsrat nicht als verfassungswidrig angesehen.

Dies wurde in erster Liniemit dem von denfraglichen Maßnahmenverfolgten Ziel,der Dringlichkeit des Haushaltsbedarfs entgegenzukommen, begründet(vglEntscheidungEuGM Jamesund andere gegenVereinigtes Königreich, 1986.02.21Nr8793/79, Randnummer 68).

Ferner war die Bestimmung über eine Entschädigung für die Betroffenen seitens des Gesetzgebers im Hinblick auf das Ziel und die Art der obigen Maßnahmen, die auf die Reduktion und nicht die Abschaffung der Gehälter und der Renten abzielten, nicht notwendig(sieheEuGMEhemaligerKönig von Griechenlandund andere gegen Griechenland, 23.11.2000, Nr 25701/94, Randnummer 89, Heilige Klöster gegen Griechenland vom 9.12.1994, Randnummer 71, und James ua gegen Vereinigtes Königreich, 1986.02.21, Randnummer 54).

Darüber hinaus ist kein Verstoß gegen die Menschenwürde, die in Art. 2 Par. 1 der griechischen Verfassung verankert ist, vorhanden, weil die obige Verfassungsbestimmung, wie Artikel 1 des Ersten Zusatzprotokolls, keine feste Höhe der Löhne oder Renten garantieren, es sei denn die besprochenen Maßnahmen einen menschenwürdigen Lebensunterhalt in Gefahr setzen.

Die beteiligten Parteien (vor allem juristische Personen) berufen sich nicht auf solche Gehälter- oder Renteneinschnitte in Bezug auf ihre bisherige Höhe, die als Folge eine Gefährdung des Lebensunterhalts für ihre Mitglieder oder für einzelne Kläger haben. (siehe EuGM DA Budina in Russland, 18.6.2009, Nr 45603/2003, Larioshina in Russland, 23.4.2002, Nr 56869/00, Florin Huc in Rumänien und Deutschland, 1.12.2009, Nr 7269/05).

Im Falle einer anhaltenden Wirtschaftskrise, kann der Gesetzgeber Maßnahmen mit dem Ziel der Kostenreduzierung treffen, die große Bevölkerungsgruppen belasten, hat diese Möglichkeit des Gesetzgebers jedoch als Grenzen das im Art. 4 Par. 5 der griechischen Verfassung festgelegte Prinzip des gleichen Beitrags für jeden zu den öffentlichen Abgaben und die in Art. 2 Par. 1 GV verankerte Achtung der Menschenwürde.

Das bedeutet, dass die Last unter allen Kategorien von Beschäftigten, sowohl denjenigen im öffentlichen und privaten Sektor, als auch denjenigen, die einen freien Beruf ausüben, geteilt werden müssen. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen gemäß Art. 25 Par. 4 GV die Pflicht der sozialen und nationalen Solidarität erfüllen und es ist nicht zulässig, die Last aus den getroffenen Maßnahmen wegen der schlechten Konjunktur immer auf bestimmte Kategorien von Bürgern zu verteilen.

Entscheidung 2307/2014 des Plenums des griechischen Staatsrates6

Das Plenum des Staatsrats hat auch das 2. Memorandum mit seiner Entscheidung Nr. 2307/2014 teilweise legitimiert. Einige Gedanken aus dieser Entscheidung sind darzustellen.

Nach demRechtsakt 6/2012, der vom Präsident der Republik nach Vorschlag der Regierung erlassen worden ist, ist das Tarifsystem zur Regelung derArbeitsbedingungen durchTarifverträge undSchiedssprüche in der Praxis zusammengebrochen. Solche Rechtsakte werden in Ausnahmefällenvon äußerster Dringlichkeit. Dies führte zu einer beispiellosen Zunahme Betriebstarifverträge. Die wesentlichen Änderungen, die die Einschränkung der Grundrechte der Arbeitnehmer als Folge hatten, betrafen.

-den Umfang und die Dauer der Nachwirkung7 von Tarifverträgen,

-die Aussetzung der Anwendungserweiterung von Branchentarifverträgen und Berufsverträgen8. Während der mittelfristigen finanzpolitischen Strategie wird eine ausschließliche Anwendung von Branchen- und Beufstarifvertägen auf individuelle Arbeitsverträge, d.h. zwischen Arbeitgeber und -nehmer (Art. 37 Par. 6 G. 4024/2011).

-die Möglichkeit der Unterzeichnung von Betriebstarifvertägen vom Arbeitnehmerverein als Vertreter der Arbeitnehmer9,

-die Schwächung des Grundsatzes der günstigeren Regelung so lange die Rahmenbedingungen der mittelfristigen finanzpolitischen Strategie dauern10,

-die Anwendung von Betriebsvertrag im Falle der Überschneidung mit Branchentarifvertrag,

-das Berufungsverfahren und der Inhalt der Vermittlungs- und Schlichtungsinstitutionen (Abschaffung des einseitigen Rückgriffs auf die Schiedsgerichtsbarkeit),

sowie auch die Funktion der Organisation für die Vermittlung und die Schiedsgerichtsbarkeit.

Auf der Grundlage derobigen neuen Regelung des Arbeitsrechts vor allem durch den Rechtsakt 6/2012 hatder Staatsrat eine Normenkontrolle durchgeführt. Die wichtigeren Gedanken des Gerichts werden im Folgenden ausgeführt:

Die Bestimmung des Artikels 22 Abs. 2 der Verfassung richtet dem Gesetzgeber an, ein Schiedsverfahren als Ergänzung zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten im Falle des Scheiterns der Tarifverhandlungen zu übernehmen. Die Aktivierung dieses Prozesses erfordert nicht die Zustimmung beider Parteien. Der Willen einer Partei sei, nach der Verfassungsbestimmung, für diesen Zweck ausreichend. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut, als auch aus dem Zweck der vorstehenden Regelung. Insbesondere ist der Rückgriff auf das Schiedsverfahren mit der Zustimmung beider Parteien eine Manifestation der Tarifautonomie der Sozialpartner. Wie die Verhandlungsparteien durch gegenseitige Entscheidung Fragen von Arbeitsbeziehungen durch einen Vertrag, der die Form eines Tarifvertrags bekommt, regeln können, genauso können sie, einem Schiedsorgan die Regelung von solchen Fragen anvertrauen.

Daher wäre die spezifische Erwähnung vom Schiedsverfahren im Verfassungstext überflüssig, wenn nur der einvernehmliche Rückgriff darauf und nicht der einseitige Rückgriff auf das Schiedsverfahren zur Beilegung von Tarifkonflikten in der Verfassungsbestimmung gemeint wären. Darüber hinaus ist das Ziel der Verfassungsbestimmung in erster Linie, den sozialen Frieden durch die Vermeidung einer Verewigung der kollektiven Streitigkeiten zu gewährleisten und sie zu lösen. Die Suche nach einerausgewogenen Lösung, soweit möglich, wird nicht gedient, wenn ein Teil des Tarifstreits die Möglichkeit hat, den Zugang zum Schiedsverfahrenzu verweigern, um die Auflösung des Tarifstreitszu vereiteln. Die hätte als Folge, dass die entsprechenden Arbeitsbedingungen entweder nur auf der Ebene von individuellen Arbeitsverträgen geregelt werden, im Rahmen denen der Arbeitsgeber in der Regel die stärkste Partei ist, oder Lücken bei der Regelung von solchen Bedingungen entstehen und der entsprechende Konflikt zwischen den Sozialpartnern verlängert wird. Folglich verstoßt die Bestimmung von Par. 1 des Artikels 3 des Rechtsaktes 6/2012, die den Rückgriff auf ein Schiedsverfahren unter der Voraussetzung setzt, dass eine Vereinbarung der Parteien darüber erreicht wurde, gegen Artikel 22 Par. 2 der Verfassung und damit wird für nichtig erklärt.

Die Bestimmung des Artikels 3 Par. 2. des Rechtsaktes des Ministerrates 6/2012, sowie auch die entsprechende Bestimmung des obigen Artikels 14 des Gesetzes 3899/2010, gemäß denen die Möglichkeit zum Rückgriff auf Schiedsverfahren sich ausschließlich auf die Festsetzung von Grund- und Tageslohn beschränken, verstoßen gegen Artikel 22 Par. 2 der Verfassung. Der Wortlaut der Verfassungsbestimmung lässt keinen Spielraum für den Ausschluss von einem bedeutenden Teil eines kollektiven Rechtsstreits aus der Regelungsbefugnis der Schlichtungsstelle. Wichtige Teile des kollektiven Rechtsstreits dürfen beim Rückgriff auf das Schiedsverfahren nicht ungeregelt bleiben.

Durch die obigeEntscheidung wurdedeutlich gemacht, dass das Ergebnis des Sturzes der Tarifverträge unddie Wiederherstellung derindividuellenVerhandlung mit dem Arbeitgeber und anschließend der Abschlußvom Einzelvertrag,dieerschreckendeZunahme der Arbeitslosigkeitmit der Schließung vonHunderten vonUnternehmen und die Schrumpfung der anderen war.

Eines ist sicher. Die Prüfung der Rechtsprechung der obersten Gerichte Deutschlands und Griechenlands haben gezeigt, dass der Notstand die Begriffe der Demokratie und sogar der Menschenwürde gefährlich beeinflussen kann. Ferner ist eine Maximalisierung beim Gläubiger und eine Minimalisierung beim Schuldner in der Definition bzw Anwendung der gleichen Begriffe-Konzepte zu beobachten.

6. Solidarität in Europa und Existenzminimum

Die Gewährleistung eines Minimums vom angemessenen Lebensstandard wirdinArtikel 25Par.1, 2 und 4 der griechischen Verfassung festgeschrieben. Die obigen Bestimmungen der griechischen Verfassung garantierendie Grundrechtedes Menschenals Individuum undals Mitglied derGesellschaft, die soziale Gerechtigkeit und die soziale Solidarität. Sie basieren auch auf Artikel 2, der den Menschenwürdeschutz als Staatszielbestimmung behandelt und Art. 5 der Verfassung, der die persönliche Freiheit, sowie auch die Teilnahme an dem sozialen und wirtschaftlichen Leben des Landes garantiert. So ist auch damit eine Staatszielbestimmung konkretisiert worden, ein anständiges Existenzminimum für alle lebenden im Staatsgebiet Personen gewährleistet zu werden,ein Existenzminimum, das unter den Bedingungen des Menschenwürdegehalts zu befriedigen ist. Es ist erwähnenswert, dass die Rechtsprechung des Staatsrates sich zum ersten Mal bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung, die nach den Anweisungen des Memorandums erlassen worden ist und durch die die sozialen Rechte betroffen worden sind, auf den Begriff "menschenwürdiger Lebensunterhalt" beruft. Sie nimmt an, dass die Artikel 2 Abs. 1 der Verfassung und Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention "das Recht auf eine bestimmte Höhe der Vergütung garantieren unter der Voraussetzung, dass ein Fall der Gefährdung menschenwürdigen Lebensunterhalts" vorliegt.

Nachdem Obersten Verwaltungsgerichthaben die Antragssteller dieLast zu beweisen, dassdie getroffenen vom Gesetzgeber Maßnahmen, dieMenschenwürde angetastet haben. So hat sich das Gericht, wie folgt, geäußert:

«Die Antragssteller berufen sich nicht auf die konkrete Tatsache auf eine Menschenwürdeverletzung, d.h. dass dieLohn- und Rentenkürzungen,im Hinblick auf ihreHöhe, eine solche Gefahr mitsichbringen»11.

Am 19.10.2012 sind zwei wichtige Entscheidungen des Europäischen Ausschusses für soziale Rechte erlassen worden12, die die Anträge von zwei griechischen Gewerkschaften gegen die griechischen Maßnahmen aus Anlaß des ersten Memorandums geprüft hat. Der Ausschuss ist zum Schluß gekommen, dass die griechische Regelung, dieeinen Mindestlohnfür junge Menschen vorsieht, der mit Abstand vomaktuellen Mindestlohnunter dem SchwellwertvonArmut ist, im Widerspruch zuder Europäischen Sozialcharta steht.

7. Schlussfolgerung

Im europäischen Mehrebenensystem gibt es mehrere Legitimationsressourcen. Im Rahmen eines Währungsverbunds, wo die sogenannte Solidargemeinschaft in Bezug auf die Stabilitäts- und Haftungsrisiken für die Anleger vorausgesetzt ist, muss eine Legitimitation von den Verträgen auf eine höhere Ebene übertragen werden, was der Fall noch nicht passiert ist. Wie schon bekannt, entschieden wurde nicht die Vertragsänderung, sondern der intergouvernementale Weg und dadurch die Imperative der Märkte an die nationalen Haushalte13.

In der jetzigen Phase müssen die Märkte sowohl das Prinzip der Eigenverantwortung der Staaten, wie auch die Solidaritätsressourcen der Europäischen Union testen. Man versucht, das einheitliche Handeln im europäischen Währungsraum und die demokratische Legitimation im Staatenverbund dadurch zu verbinden, dass die Unterstützung einzelner Mitgliedstaaten durch die Gruppe der solventener Staaten von einer strikten Haushaltsüberwachung abhängig zu machen14.

Die Hauptkritik in Bezug auf die Art der Behandlung der Eurokrise wurde darauf konzentriert, dass Europa auf die Ökonomie reduziert sei und auf Grund des Fehlens einer europäischen Zivilgesellschaft auf einer schwachen verfassungsrechtlichen und demokratischen Grundlage basiere. Statt Politik Wirtschaft! So sei die vertiefte europäische Inegration (z.B. Eurobonds, Eurosteuern) zur Zeit ausgeschlossen15. Auf diese Weise wurden in Europa intransparente und rechtlich formlose Entscheidungen getroffen und dadurch eine Art von postdemokratisch-bürokratischer Herrschaft16 entstanden.

Die neue Rolle des Staates, die darin besteht, in immer schnellerer Dynamik die spezifischen Momente der Krise durch spezielle und exekutive Regelungen im Interesse der dominanten Fraktionen lösen zu müssen, passt nicht mehr in das System allgemeiner, formaler und universaler Normen. Damit ist verbunden, dass sich die Macht zur Normsetzung zunehemend auf die Exekutive verschiebe.

Griechenland befindet sich in einer extremen Krisenlage. Damit es überhaupt zu einem Krisenmanagement kommt, hat es schon längst die Grenzen seiner demokratischen Selbstbestimmung erreicht. Die Union als Rechtsgemeinschaft darf jedoch nicht in Frage gestellt werden.

 

 

1. S. Joachim Wieland, Die Krise Europas-Krise als Chance, JZ 2012, S. 213.

2. S. Sonja Buckel/Fabian Georgi/John Kannankulam/Jens Wissel, “…wenn das Alte nicht stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann.”-Kräfteverhältnisse in der europäische Krise, in: Forschungsgruppe “Staatsprojekt Europa” (Hrsg.), Die EU in der Krise-Zwischen autoritärem Etatismus und erupäischem Frühling-, Münster 2012, σελ. 34-38.

3. S. Frédéric Allemand/Francesco Martucci, La nouvelle Gouvernance économique européenne, CDE 2012, S. 410.

4. S. über die Ursachen der Eurokrise und Lösungsvorschläge in die ähnliche Richtung, in: Ingolf Pernice, Die Rettung des Euro und die Zukunft der Europäischen Union, WHI-Papers 5/2013

5. Kritik zu der Entscheidung mit einer Reihe von Beiträgen, in: Die Verfassung (To Syntagma) Bd. 2012, Heft 1.

6. Kritik zu der Entscheidung mit einer Reihe von Beiträgen, s. in: Zeitschrift für Arbeitsrecht (Epitheorissis Ergatikou Dikaiou), Heft 1, Bd. 2015

7. Wenn am Endedes Quartalsder Zwangsverlängerung einesTarifvertragskein neuerTarifvertrag unterzeichnet worden ist,gelten diejenige regulatorische Rahmenbedingungen, die a)den Grundlohn, oder Tageslohnund b) die vom beendeten Tarifvertrag vorgesehen Ablaufleistungen, Kindergeld, Erziehungsbeihilfe und Zulage wegen gefährlicher Tätigkeit, betreffen.

8. Wenn derBranchen- oder Berufsvertrag bereits Arbeitgeber bindet, diemindestens 51%der Arbeitnehmerinder Brancheoder im Beruf beschäftigen, kann eine ministerielle Entscheidung diese Bindung durch denTarifvertrag auf alle Arbeitnehmer der Branche oder des Berufs erweitern.Heute ist diese Erweiterung bis zum Ende des Programms der finanzpolitischen Strategiesuspendiert.

9. Die Betriebstarifverträge betreffen die Arbeitnehmereines Unternehmens oder eines Betriebs. Sie werden zwischen dem Arbeitgeber unter der Bedingung, dass er mindestens 50 Arbeitnehmer beschäftigt, und der Unternehmensverband.Wenn es keinen Unternehmensverband gibt, kann der sogenannte „Arbeitnehmerverein“, der von 3/5 der Arbeitnehmer des Unternehmens und unabhängig von der gesamten Summe der Arbeitnehmer im Unternehmen gegründet werden kann, den Unternehmensvertrag unterschreiben.

10. So lange diemittelfristige Finanzstrategie dauert, gilt die Anwendung der günstigerenRegelung nicht, wenn es um Überschneidung vom Unternehmens- mit Branchentarifvetrag geht. In diesem Fall geht der Unternehmensvertrag vor.

11. S. Staatsrat Plenum 1283/2012 (Gedanken 31)

12. GENOP-DEI UND ADEDY v. GREECE (réclamations nos 65 und 66/2011) (décisions sur le bien-fondé 12.6.2012).

13. S. Jürgen Habermas, Zur Verfassung Europas, Ein Essay, Berlin 2011, σελ. 79 επ.

14. S. Udo di Fabio, Welche Legitimationsgrundlagen erfordert eine EU-Stabilitätskultur?, in: Schuldenkrise und Governance der Europäischen Union: Legitimität, Funktionalität, Plralität, Berlin 2011, σελ. 52-54.

15. S. Sonja Buckel/Fabian Georgi/John Kannankulam/Jens Wissel in: Forschungsgruppe “Staatsprojekt Europa” (Hrsg.), Die EU in der Krise, σελ. 40, 42 επ..

16. Der Terminus aus Jürgen Habermas, Zur Verfassung Europas, σελ. 81.